Keine Brücke ohne Schlösser
Es ist nicht zum Aushalten. Es ist keine Brücke in einem Touristenort zu finden, an dem nicht irgendwelche Schlösser hängen. Jaja, am Tiber erwartet man es ja gerade, oder in Barcelona. Aber im argentinischen Calafate, am Rande der Anden? Oder im malaysischen Penang? Und ja, selbst dort findet man Liebe in Form von Billigmetallpresslingen. „Renate + Klaus. In ewiger Liebe“ liest man da, und ein herzumrahmtes „E&V“ hängt gleich daneben.
Was denken sich die Leute bei diesem Unsinn? Das ist Romantik aus dem Baumarkt. Welche Beziehung ist auf solidem Fundament gebaut, wenn man als Symbol dafür ein drecksbilliges 80-Cent-Schloss auf eine Eisenbahnbrücke hängt? So „wertvoll“ ist also eure Liebe? Wie geht’s dann weiter? Zur Hochzeit dreht ihr euch zwei Büroklammern zu Ringen zusammen…?
Bei manchen Brücken Europas, wie am Pariser Pont des Arts oder am Frankfurter Holbeinsteg wurden die Schlösser bereits entfernt, weil angeblich die Konstruktion unter der Last der tausenden Liebesbeweise litt – oder durch die rostenden Schlösser Schaden nahm. Hoffentlich hebt das nicht die Scheidungrate. Dass die Schlösser die Stabilität der Brücke beeinträchtigen, ist übrigens gern kolportierte, aber unsinnige Mär (ich glaub, das nennt man heute „Fake News“). So erklärte die Deutsche Bundesbahn dereinst, dass an der Hohenzollernbrücke in Köln (an der die blecherne Liebe vieltausendfach nervt) etwa 35 Tonnen überflüssiges Metall hängen. Und dies könne die Brücke locker (ver)tragen, denn allein die in regelmäßigen Abständen aufgetragene Rostschutzfarbe wiege mehr.
Kein Brunnen ohne Schwermetall
Leider existiert auch kein Brünnlein entlang des Weges, aus dem nicht mindestens ein blankes Münzchen schimmert. Immer wieder wird es jemanden geben, der in abergläubischem Hoffen auf ewige Glückseligkeit ein Geldstück hinab fallen lässt. Zwar lernt der Belesene schon bei Goethes Taucher, dass ins Wasser geworfene Wertgegenstände niemals Glück verheißen, aber eine Vielzahl der Zeitgenossen gehen am Ufer nicht nur des Hartgeldes verlustig, sondern bisweilen auch der Vernunft.
Die Brunnentradition hat ihren Ursprung sicherlich am Trevi-Brunnen in Rom. Dort glaubt anscheinend jeder ans Glück. Andauernd sieht man einen Besucher hoffnungsfroh mit Münzen zielen. Direkt, aus dem Handgelenk, über die Schulter. Wirft man eine Münze ins Becken, so die Legende, werde man die ewige Stadt wiedersehen, wirft man zwei, verliebt man sich in einen Römer oder eine Römerin, bei drei werde man heiraten. Ob’s denn wirkt? (Und ob das so wünschenswert ist?) Wirklich Glück dabei hat nur die italienische Caritas, an die die jährliche Summe von postulierten 1,5 Millionen Euro geht. Wie viele Baggerschaufeln Kupfergeld sind das wohl pro Jahr?
Dass die Traufe, in der einst Anita Ekberg und Marcello Mastroianni ihre nassen Körper aneinanderschmiegten, für manche Schwarzweißfilmromantiker eine gewisse Magie ausstrahlt, mag ja sein. Aber der Dorfbrunnen von Zell am See? Ach je, es gibt halt viele Deppereien, an die der kleine Geist hoffnungshalb sich klammert… Wer jedoch kein Glück erfährt beim Münzwurf, der möge sich damit trösten, etwas für seine Volkswirtschaft getan zu haben. Denn indem man Bargeld dem Umlauf entzieht, wirkt man im Prinzip deflationär.
Kein Buffet ohne halbe Sachen
Nun aber zu etwas ganz Furchtbarem: Die schlimmste touristische Unsitte – das Tortenteilen. Man kann hinfahren, wohin man will: Von Caorle bis Hurgada, von Mallorca bis Bad Sauerbrunn. Man findet kein Dessert-Buffet, an dem nicht mindestens ein halbes Tortenstück seiner Entsorgung entgegengammelt. Der Hotelkonditor kann die Tortenstücke noch so klein herunterfitzeln (schon im Vorsatz, diese Unsitte der fettleibigen Kalorienzähler zu unterbinden), es findet sich immer eine(r), dem das Dargebotene noch zu groß ist, und der ganz bescheiden ein halbes Stück wegpappt, weil er nur ein wenig kosten möchte. Und dabei richtet er ein gatschiges Deseaster an, wo jeder ein wenig kotzen möchte. Für jedes halbe Tortenstück, das irgendwo auf der Welt direkt vom Buffet in den Müll rutscht, möchte ich nur einen Cent bekommen – ich bräuchte nie wieder zu arbeiten.
Keine Statue ohne blanke Stelle
Ach ja, und dann sind noch die vielen Statuen auf der Welt, die allesamt eines gemeinsam haben. Irgendwo ist die Patina der Bronze blank poliert: Irgendwo gibt es diese eine abgegriffene Stelle. Meistens ist es eine Zehe (wie bei Ferdinand Magellans Denkmal im chilenischen Punta Arenas; siehe Bild), ein Finger, die Nase oder gar der Busen (wie bei Julia Capulet in Verona).
Angeleitet durch halblustige Erklärungen von viertellustigen Reiseleitern erhoffen sich vorbeiziehende Karawanenmitglieder Glück (in welcher Gestalt auch immer). Die Herleitung ist immer die gleiche: In irgendeiner (erfundenen) Mär heißt es da, durch berühren, küssen, streicheln oder reiben dieser abgegriffenen Stelle werde der Himmel sich gerade jetzt entzweien und das göttliche Füllhorn werde ewige Glückseligkeit, Reichtum und Wohlsein auf den Berührer, Küsser, Streichler, Reiber herunterprasseln lassen.
Viel höher ist freilich die Chance, sich bei der Lächerlichkeit die altalbanische Beulenkrätze zu holen, wenn man gerade dorthin tappt, wo die halbe Welt hinsabbert. Vielleicht ist dieser ganze Sagenkreis rund um die hellen Bronzestellen dieser Welt also nur eine Verschwörung der Ärzte um die Patientenschar zu vergrößern. Jedenfalls: Viel Glück!